Nürnberger Dialog zur Berufsbildung am 22.04.2016
Die BMBF-Forschungsinitiative ASCOT – Ansätze, Ergebnisse und Transferperspektiven der Forschungen zur Kompetenzmessung im kaufmännischen Bereich
Einem gleichermaßen anspruchsvollen wie zukunftsrelevanten Thema widmete sich die sechste Auflage des Nürnberger Dialogs zur Berufsbildung. Gegenstand waren die neuesten Forschungsergebnisse zur Kompetenzmessung, die sich im Rahmen der ASCOT-Forschungsinitiative des BMBF ergeben haben. ASCOT ist die Abkürzung für „Technologybased Assessment of Skills and Competencies of Vocational Education and Training”.
Der Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg für Mittelfranken, Markus Lötzsch, begrüßte zahlreiche Teilnehmer aus Wissenschaft, IHK-Hauptamt sowie Ausbildungsbetrieben und Schulen. Er verwies darauf, dass sich die gemeinsam von IHK und AkA organisierte Veranstaltungsreihe Nürnberger Dialog solchen Themen widme, die nicht im unmittelbaren Fokus des Tagesgeschäfts lägen, sondern vielmehr von grundlegender und strategischer Relevanz für die berufliche Bildung seien, genau wie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus ASCOT. Markus Lötzsch dankte dem BMBF dafür, die ASCOT-Initiative gestartet zu haben. Das damit einhergehende aufwändige Engagement werde durchaus auch als klares Bekenntnis des BMBF zur dualen Berufsausbildung verstanden. Schließlich werde damit zentralen Fragen nachgegangen: Was vermag unser berufliches Ausbildungssystem genau zu leisten? Was können die Auszubildenden wirklich? Wie kann der Kompetenzerwerb optimal gestaltet werden und wie können die erworbenen Kompetenzen valide und reliabel gemessen bzw. nachgewiesen werden?
Die Moderation der Veranstaltung lag in den bewährten Händen von Dr. Josef Amann, langjähriger Vorsitzender des AkA-Beirats. Die Reihe der Vorträge eröffnete der Vertreter des BMBF, Christoph Acker. Er ist im Referat 311 – Grundsatzfragen der beruflichen Aus- und Weiterbildung – tätig und dort unter anderem für die Betreuung der ASCOT-Initiative zuständig. Er gab zunächst einen Überblick über die von 2011 bis 2015 laufende Forschungsinitiative. Sie umfasste insgesamt 21 Forschungsvorhaben, die in 6 Projektverbünden zusammengefasst waren. Forschungsgegenstand waren kaufmännische und gewerblich-technische Ausbildungsberufe ebenso wie Pflegeberufe und der/die Medizinische Fachangestellte. Als Querschnittsprojekte kamen noch breit angelegte Untersuchungen zu systemischen und individuellen Kontextfaktoren sowie die adaptive Messung allgemeiner Kompetenzen hinzu.
Im Fokus des 6. Nürnberger Dialogs standen ausschließlich die kaufmännischen Projekte, bei denen auch die AkA und ihre IHKs als Praxispartner einen wichtigen Part übernommen hatten. In ihren Vorträgen gelang den präsentierenden Wissenschaftlern durchweg der Spagat zwischen fachwissenschaftlicher Deskription und Allgemeinverständlichkeit.
Dr. Andreas Rausch von der Universität Bamberg, zusammen mit Prof. Dr. Detlef Sembill Koordinator des Verbundprojekts DomPL-IK, stellte den Forschungsansatz des Projekts, die beteiligten Lehrstühle sowie die wesentlichen Befunde vor. Sein Projekt hatte ausschließlich den Bereich „Controlling“ zum Gegenstand und untersuchte die Problemlösekompetenz bei Industriekaufleuten, IT-System-Kaufleuten und Kaufleuten im Groß- und Außenhandel. Ausgangspunkt war ein aus 13 Kompetenzfacetten bestehendes Modell domänenspezifischer Problemlösekompetenz. Diese wurden im Rahmen eines Modellunternehmens in drei komplexen Problemszenarien getestet und dabei zusätzlich „Erlebnisstichproben“ in die Bearbeitung eingebettet, die eine Selbsteinschätzung des Probanden abfragten. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass das entwickelte Instrumentarium eine reliable Kompetenzmessung ermöglicht. Während der Tests erhobene weitere große Datenmengen wie z. B. die Logfiles, mit denen die Vorgehensweise der Probanden bei der Problemlösung nachvollzogen werden kann, harren noch der Auswertung. Hier sind weitere interessante Erkenntnisse zu erwarten.
Prof. Dr. Esther Winther, Koordinatorin des Verbundprojekts CoBALIT, sah ein wesentliches Forschungsdesideratum zunächst in der Präzisierung des Kompetenzbegriffs – im Gegensatz zu der „Kompetenzlyrik“, die etwa im Zusammenhang mit dem DQR gebräuchlich sei. Das CoBALIT-Projekt umfasste zwei Haupt-Perspektiven der Kompetenzmodellierung und Kompetenzmessung: Handeln und Verstehen in betrieblichen Geschäftsprozessen sowie Abbilden unternehmerischen Verhaltens von Auszubildenden (siehe auch Vortrag von Frau Prof. Dr. Weber zu Intrapreneurship). Im Bereich Geschäftsprozesse wurde zwischen domänenverbundenen und domänenspezifischen Kompetenzen unterschieden und diese mittels der bereits in den VET-LSA-Projekten eingesetzten und weiterentwickelten computerbasierten ALUSIM-Testumgebung gemessen. Dabei zeigte sich, dass die getesteten Probanden zuverlässig auf zwei verschiedenen Kompetenzdimensionen verortet werden können. Grundsätzlich lassen sich nunmehr Aussagen über die Kompetenzausprägung und die Bewertung der Kompetenzen treffen, der Einfluss von im Bildungsverlauf vorgelagert erworbenen Kompetenzen feststellen und kaufmännische Kernkompetenzen identifizieren, die sich auch auf andere Ausbildungsberufe übertragen lassen.
Prof. Dr. Susanne Weber stellte das unter dem CoBALIT-Verbund laufende Teilprojekt „Intrapreneurship“ vor. Ausgangspunkt ist die These, dass die berufliche Bildung eine innovationsfördernde Wirkung aufweise. Die Analyse von Fachaufgaben, die im Rahmen der Abschlussprüfung vorgelegt wurden, zeigte, dass Auszubildende durchaus sehr innovative Projekte entwickeln und bearbeiten können. Eine Fragestellung im Projekt war somit, wie sich innovationsfördernde Kompetenzen auf- und ausbauen lassen. Auch hier wurden Aufgaben generiert und über die Testumgebung ALUSIM bearbeitet. Es lassen sich „Ideengenerierung“ sowie „Planung und Umsetzung“ als zwei Dimensionen der Intrapreneurship-Kompetenz in den Items abbilden und replizieren. Dabei wurden vier Kompetenzniveaus festgehalten, deren anspruchsvollste Ausprägung der „Pool of Talents“ darstellt. Dieser sollte von den ausbildenden Unternehmen unbedingt identifiziert und genutzt werden.
In der von Dr. Josef Amann moderierten Abschlussdiskussion standen vor allem der Transfer der gewonnenen Erkenntnisse in die Ausbildungspraxis sowie mögliche Anschlussprojekte im Mittelpunkt. Dabei wurde eine breite Palette an Anwendungsmöglichkeiten als auch Anwendungsnotwendigkeiten diskutiert.
Grundsätzlich bescheinigen die Forscher auf Basis der ASCOT-Ergebnisse der dualen Berufsausbildung eine gute Ausbildungsleistung. Christoph Acker verwies darauf, dass die gewonnenen Instrumente und Erkenntnisse nun in die Ausbildungs- und Prüfungspraxis einfließen sollten, dabei aber auch die Sozialpartner mit einbezogen werden müssten. Insofern steht mit ASCOT II, das laut dem BMBF-Vertreter angedacht und gegebenenfalls noch im Jahr 2016 konkretisiert werden solle, ein Folgeprogramm unter Regie des BIBB in Aussicht, mit dem der Praxistransfer konkret angegangen werden könnte.
Die IHK-Vertreter sehen aber in den geltenden Ausbildungsordnungen insbesondere justiziable Hindernisse, um die Erkenntnisse anwenden und umsetzen zu können. Daher müssten die Befunde auch Eingang in die Ordnungsarbeit finden. Bedingung sei aber, dass die summarische Prüfung nicht zur Disposition gestellt und das Ehrenamt als konstitutives Element der IHK-Prüfungen mitgenommen werde. Genau hier komme den zentralen Aufgabenerstellungseinrichtungen eine bedeutende Funktion bei der Operationalisierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse wie seinerzeit bei der Umsetzung der Praxis- und Handlungsorientierung zu.
Diskutanten wie Teilnehmer waren sich darin einig, dass ASCOT eine Fülle an Erkenntnissen hervorgebracht habe, mit denen weitere interessante Fragen des dualen Systems – etwa im Vergleich zur akademischen Bildung – untersucht werden könnten. Notwendig sei daher eine Art „Clearing-Stelle“, die zentral und strukturiert diese Ansätze katalogisiere und die weiteren Forschungen koordiniere. Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Achtenhagen plädierte insbesondere mit Blick auf die Schweiz für deutlich längere Forschungszeiträume als drei Jahre, um die Erkenntnisse zu verifizieren und nachhaltiger für den Wissenschaft-Praxis-Transfer aufbereiten zu können.
Die Veranstaltung – darin waren sich alle Teilnehmer einig – war ein erster intensiver Einstieg in die wichtige Diskussion zur Kompetenzentwicklung und -messung, die sicherlich bis auf Weiteres eines der beherrschenden Themen in Zusammenhang mit dem dualen Berufsbildungssystem bleiben wird.
Dr. Wolfgang Vogel
Das Programm zur Veranstaltung sowie die gezeigten Präsentationen der einzelnen Vorträge (folgen Sie dem Link unter „PDF“) finden Sie hier.
Bilder von der Veranstaltung finden Sie hier.
Alle Fotos: © IHK Nürnberg / Dawid Jankowski